Freitag, 30. Januar 2015

[Setting] Leviathan

Ja, ich bin es schon wieder und mir ist, mal wieder, eine Idee durch den Kopf geschossen. 
Ob es mehr wird, oder nur wieder ein Gehirnfurz, wird sich zeigen.
Den Beginn mache ich einfach mal mit einer kleinen Geschichte, die auch die Einleitung zu einer größeren Geschichte werden könnte. Zur Welt an sich möchte ich noch nicht viel sagen, denn der Sense-of-Wonder entsteht dadurch, die Welt aus der Sicht der Personen in ihre zu sehen. Entsprechend lasse ich jetzt einfach jeder Erklärung offen.

Ja, es ist eine Wall-of-Text, aber ich glaube, es ist und war auch nötig, um ein Gefühl für die Welt zu bekommen. Deswegen sage ich jetzt auch erstmal nicht mehr und überlasse es euch, den geneigten Lesern, sich eine Meinung zu bilden.






Kael erwachte wie jeden Morgen als das flackernde Licht die Rote Grotte erhellte und alles mit einem kalten, bläulichen Schimmer überzog. Es war recht kühl und aus den rostigen Schächten quoll dichter, schwerer Dampf, der sich über die moos- und flechtenüberzogenen Hügel der Grotte legte. Mit dem Entflammen des Lichtes begannen auch die Rathogs in ihren Gehegen zu quieken und zu grunzen.
Der Junge dehnte und streckte sich, nahm einen Schluck Kondenswasser aus seinem Blechbecher und zog sich seinen Mantel über, um sich vor dem klammen und kühlen Klima der Grotte zu schützen. Nach einem einfachen Frühstück, bestehend aus getrockneten Pilzen und Flechten, welche hier und in der näheren Umgebung wuchsen und von den Grottenbewohnern gezüchtet wurden, stieg Kael aus seiner kobelartigen Wohnnische und kletterte an einer Strickleiter hinab zu den Rathogspferchen. Die Tiere begrüßten ihn schon schwanzwedelnd und grunzend, denn nun folgte ihre Fütterung. Auch sie bekamen Pilze und Flechten. Selten auch mal anderes Grünzeug, Knollen oder Essensreste. Aber dies gab es nur, wenn man auf dem Markt jenseits der Faultunnel etwas eintauschen konnte. Kael war fasziniert von dem Markt, denn dort gab es eine Vielzahl von Dingen, die er zuvor in seinem Leben noch nie gesehen hatte: Komische Gerätschaften, seltsame Speisen, Tiere und Pflanzen und andere Dinge. Heute sollte wieder so ein Tag sein, denn er wollte eines der Rathogs eintauschen. So packte er nach dem Füttern der Tiere seine Umhängetasche sowie seine Brille, mit der er im Dunkeln besser sehen konnte und noch ein Messer zur Sicherheit ein. Auch wenn die Faultunnel zwar bewacht waren, so waren sie trotz allem ein gefährlicher, düsterer Ort, wo hinter jeder Ecke Wegelagerer oder schlimmerers Lauern konnten.

So langsam erwachten auch die anderen Bewohner der Roten Grotte. Die Pilz- und Flechtenzüchter krochen in die rostigen Tunnel und Schächte um in dem freucht-warmen Klima die Frucht ihrer Arbeit einzusammeln. Die Käferklauber folgten ihnen auf dem Fuße, denn in der verschlungenen Rohrsystemen gab es auch so manchen schmackhaften Käfer oder andere Kriech- und Krabbeltiere. Die Schrotter begannen wieder damit, die morschen Tiefen der Roten Grotte nach neuer Metallausbeute zu durchsuchen. Ein sehr gefährlicher Beruf, denn nur zu leicht macht man einen falschen Tritt und schon verschwindet man in der schwarzen Finsternis.

Auf diese Weise hat Kael auch seinen Vater verloren. Seine Mutter und Schwester hingegen fielen Sklavenjägern in den Faultunneln zum Opfer. Wie lange dies schon her war, weiß Kael gar nicht mehr. Es gibt nur die Tage, wenn das Licht angeht und die Nacht, wenn es wieder ausgeht. Es geschieht immer im gleichen Trott, ohne Änderung, Varianzen oder Jahreszeiten. Immer nur Licht an. Licht aus.
Seit damals hat Kael bei Tante Bera gelebt, welche ihn bis zu ihrem Tode aufgezogen hat. Er weiß bis heute noch nicht, ob Tante Bera wirklich seine Tante war oder nicht. Er kannte sie aber von Kindesbeinen an, da sie direkt neben seiner Familie lebte. Bera starb am Alter oder einer Krankheit. Er weiß es nicht mehr so genau. Eines Morgens lag sie kalt und steif neben ihm unter der Decke. Sie war Pilzsammlerin und hat in den letzten Wochen vor ihrem Ende sehr viel gehustet. Wahrscheinlich hatte sie einmal vergessen in den Pilzgrotten einen Mundschutz zu tragen. Dies war letztendlich das häufigste Todesurteil der Pilzzüchter. In den Pilzgrotten war die Luft voller Sporen und ohne Mundschutz war es nur eine Frage der Zeit, bis die Sporen in die Lungen eindrangen und sich dort festsetzen würden.
Doch diese Fragen stellten sich die Menschen der Roten Grotte nicht.
Kael und einige Männer brachten die Leiche zum Fleischschacht und ließen sie in das finstere Reich des Todes hinab. Dies war die erste, wirkliche Bestattung, welcher der Junge beiwohnte. Auf seine Frage hin, was mit den Toten geschehen würde, sagte einer der Männer, der Daw hieß, dass die Kadaversammler sich nun um sie kümmern würden, welche in dem Rohrlabyrinth unter dem Schacht hausen. Ohne genau zu wissen, was dies bedeutete, fand Kael es gut, dass sich jemand um Tante Bera kümmerte. Daw nahm sich schließlich Kael an und die beiden wurden Freunde. Überhaupt war der Zusammenhalt in der Roten Grotte sehr gut. Die Menschen lebten miteinander und halfen sich untereinander aus. Die Welt jenseits der Grotte interessierte die wenigsten. Zwar ging immer ein Tross von ihnen zum Markt, um dort Handel zu treiben, doch traute niemand den Menschen dort. Denn sie waren anders. Sie waren Fremde. Und Fremden konnte man einfach nicht trauen.

Nachdem Kael ein schönes, fettes Rathog ausgesucht hatte, legte er dem Tier einen Maulkorb um und zog es an einer Leine aus dem Gehege. Es wehrte sich und wandt sich wie wild. Ohne den Maulkorb war es unwahrscheinlich gefährlich mit den Tieren so umzugehen. Mit ihren scharfen Zähnen konnten sie ohne weiteres einen Arm abtrennen und ihre Krallen waren wie kleine Dolche geformt. Schließlich taucht Daw auf und half Kael das Tier aus dem Gehege zu bekommen. Kael nickte Daw dankend zu und machte sich dann auf in Richtung Tor zu klettern. Der Pfad führte vorbei am Siedlungstor, wo einige Männer Wache hielten und hinaus in die rostigbraune Wildnis der Grotte.
Einfach war der Weg nicht. Überall lagen metallisches Gerümpel, Schrott und von Moos überzogene Überreste herum zwischen denen die Schrotter einherkrochen und krabbelten. Man musste schon aufpassen, denn nur all zu schnell konnte Schrotterbeute von den aufgetürmten Hügeln rutschen und einen Wanderer überraschend erschlagen. Ein Risiko, dass aber jeder Grottenbewohner kannte.
In der Nacht war es gefährlich, die Gebiete außerhalb der Siedlungsgrenzen zu betreten. Auch wenn die Wachen am großen Tor der Grotte dieses wie ihren Augapfel behüteten, so kamen doch immer wieder und wieder namenlose und widerliche Schrecken in die Rote Grotte und nisteten sich dort ein. Sobald das Licht an ging, verkrochen sich diese Kreaturen irgendwo im Schrott, Rohren und Spalten. Für den normalen Reisenden, der von der Siedlung zum Grottentor wandern, sind diese Dinger zumeist ungefährlich. Doch für Schrotter und andere, die in dem metallischen Unrat wühlen, können sie eine Gefahr darstellen. Daw hat vor ein paar Tagen mit erlebt, wie ein Schrotter in ein Höhle einbrach und dort von einem Monster erwischt wurde. “Das Geräusch, der zerbrechenden Knochen, der Krallen, welche das Fleisch zerreißen und die Schreie des Totgeweihten vergisst man nicht so schnell, Kael.”, sagte Daw. Und Kael glaubte es ihm.

Das große Tor der Roten Grotte ist ein rundes Stahlloch, welches einst auch verriegelt werden konnte. Doch der Rost hat die Schaniere festgefressen und daher kann man die dicke Panzertüre nicht mehr bewegen. Heute dienen einige Blechplatten als neues Tor. Daneben, auf etwa drei Meter Höhe, befindet sich die Plattform der Torwächter. Dieses krude zusammengezimmerte Gebäude bietet genug Platz für eine Handvoll Soldaten, die mit Speeren und Bögen bewaffnet sind. Uther Cane ist der oberste Torwächter und lebt schon sehr lange in dem Wachposten. Er ist einer der wenigen, die auch eine moderne Waffen trägt. Es handelt sich um eine Art Plasmagewehr und es hat ihm schon so manchen guten Dienst erwiesen und einigen Räuber, welche versucht haben in die Grotte zu gelangen, das Leben gekostet. Das Gesetz des Cane besagt auch, dass jeder, wer von Draußen kommt, ein Zehntel seines Besitzes als Zoll abgeben muss.

Kael passierte gemeinsam mit dem Rathog das Tor und machte sich auf dem Weg durch die Faultunnel in Richtung Markt. Der Weg durch die Tunnel war lang und beschwerlich. Überall waren schleimige Schlicke, feuchtes Moos und von der Decke tropfte regelmäßig brackiges Wasser und Öl. Ein paar Lampen erleuchteten die windenden Pfand mehr schlecht als recht und in diesem diffusen Zwielicht konnte man nicht erkennen, ob sich noch andere Reisende, Wachen oder Wegelagerer auf dem engen, rutschigen Weg befanden. Der Rathog quiekte jämmerlich in der Düsternis der Tunnel und auch Kael mochte diesen Weg nicht. Der Markt hingegen war ein Ort, den er mochte. Im Gegensatz zu den anderen Bewohnern der Roten Grotte interessierte ihn der Markt und die Menschen, welche dort verkehrten. Sie sahen teilweise so vollkommen anders aus. Mit bunten Haaren, exotischer Kleidung und farbigen Hautbildern. Einige hatten seltsame technische Finessen, ähnlich wie Kaels Brille. Wäre Kael nicht an seine Rathogs gebunden, so würde er nur zu gerne wissen, woher diese Menschen kommen, wie sie wohnen und leben.
Der Weg zum Markt war dieses Mal recht sicher. Nur wenige Menschen waren in dem Tunnel unterwegs und huschten schweigend von einem Schatten zum Nächsten. Einige Wachen der Händlergilde befanden sich an den Wegposten und hatten ihre sorgsam gepflegten Bolzengewehre immer griffbereit. Der Tunnel führte eine Weile steil nach oben und war nur mit einigen Seilen gesichert, an dem sich die Wanderer fest hielten, um nicht auf dem glischigen, schmierigen Moos auszurutschen. Mit einem widerspenstigen Rathog im Schlepptau war dieser Aufstieg auch keine Freude für Kael. Mit der einen Hand zerrte der Junge das Tier hinter sich her und mit der anderen hielt er sich an dem Sicherungsseil fest. Als er den höchsten Punkt erreicht hatte, bog der Tunnel scharf nach rechts ab und sackte auch gleich wieder in die Tiefe hinab zur Knochenkreuzung.

Die Knochenkreuzung war ein Schnittpunkt der Tunnel. Ein hoher, zylinderförmiger Raum der von fahlem elekrischen Licht und brennenden Öltonnen erleuchtet wurde. Hier gab es schon einige Tauschstände von jenen, welche sich einen Platz auf dem Markt nicht leisten konnten, sowie auch ein kleiner Schrein der Maschinisten und das Wahrzeichen der Kreuzung, den Knochenmann. Dies war ein Gerippe im Zentrum des Raumes, dass einem Kreuz aus Strahlträgern befestigt war und von dessem Knochen kleine Zettel und Schriftstücke herab hingen. Lesen konnte diese kaum noch jemand. Entweder fehlte das Wissen über die Worte oder sie waren durch die Feuchtigkeit unleserlich geworden.
Direkt neben dem Knochenmann war der Schrein der Maschinisten. Rußende Kerzen flackerten auf einer Art Alter, der aus Maschinenteilen, Getrieben und Zahnrändern zusammen gesetzt war und der Priester der Knochenkreuzung stand neben ihn und predigte mit Hilfe eines Lautsprechers, der vor seinem Mund befestigt war. “Preist die Maschine! Preist sie! Denn sie gibt euch Leben! Sie schützt euch, wie eine Mutter ihre Kinder! Tut eure Pflicht im Auftrag der Maschine und denkt daran: Eure Aufgabe dient der Maschine, damit sie euch allen dienen kann!”
Kael mochte die Maschinisten nicht. Ihre seltsame Erscheinung in ihren grau-schwarzen Kutten ließ ihn erschaudern. Daw glaubt, dass die Maschinisten keine Menschen sind, sondern lebende Teile der Maschine. Von einem Freund hat er mal gehört, dass dieser einen Maschinisten gesehen hat, der mit Kabeln und Schläuchen wie eine Marionette an der Wand befestigt war und von dort aus seine Predigten hielt. Der Junge schüttelte den Kopf und bog in das Tunnelstück ab, das zum Markt führte. Dieses fiel wieder hinab in die Tiefe. Die Passanten zwängten sich dabei durch die teilweise verbogenen und verzerrten Rohre.

Gerade als Kael ein besonders enges Tunnelstück passierte, riss sich das Rathog los. Hastig versuchte Kael den Strick noch zu fassen zu bekommen, doch er glitt ihm aus den Fingern. So rannte das Tier quieckend in die Finsternis des Tunnels und verschwand dort. Fluchend zwängte sich Kael durch die Engstelle und nahm die Verfolgung des Rathog auf. Schließlich musste er das Tier gegen andere Waren für sich und Uther Cane am Zollposten umtauschen. Kael rannte in die Richtung, wo er den Rathog vermutete. Dies führte ihn in einen übelriechenden Seitentunnel, der in vollkommener Dunkelheit lag. Nun war es Zeit für seine Zauberbrille. Er setzte diese auf und schon wurde alles in ein gespenstisches, grünes Licht getaucht. Und tatsächlich… Im schleimigen Dreck des Bodens konnte Kael die Spuren des Tieres entdecken. Doch diese führten immer tiefer und tiefer in den lichtlosen, kalten Eisentunnel. Nach einer Weile gabelte sich der Tunnel und die Spuren wurden immer undeutlicher. Kael fluchte abermals und spürte, wie es ihm eiskalt den Rücken hinunter lief. Sein Magen verkrampfte sich schmerzhaft. Er konnte gar nicht genau sagen, ob es Wut über das dumme Tier war oder Angst davor, dass er es nicht finden würde und dann bei Uther Cane Schulden hätte. Niemand mochte es bei Uther Cane Schulden zu haben. Denn er verlangte für diese Zinsen. Und wer nicht bezahlen konnte, musste zu den Schrottern und dort seine Schuld abarbeiten. Und deswegen wollte niemand bei Uther Cane Schulden haben.
Panik stieg in Kael auf, denn er glaubte kaum noch, dass er den Rathog je wieder finden würde. Und so machte er sich nun mit geneigtem Haupt auf den Weg nach Hause.

Er kann bis heute nicht sagen, ob es der Gefühlscocktail in seinem Körper war oder die unglaubliche Tristesse des industiellen Chaos der Röhrensysteme. Kael marschierte mit großer Wut und Panik im Bauch eine ganze Weile, als er bemerkte, dass er auf den Hinweg zu der Gabelung nicht so lange gebracht wie jetzt. Und er war immer noch in der Dunkelheit des abseitigen Rohrsystems. Nun stieg wirkliche Angst in Kaels Körper auf. Scheinbar hatte er sich verlaufen; und das ist in den Tunneln meistens ein Todesurteil. Seine Mutter hatte ihm erzählt, dass ihre Schwester sich mal in die Tunnel abseits des Hauptweges begeben hatte und spurlos verschwunden war. Und auch andere Leute aus der Roten Grotte erzählten, wie Menschen nicht mehr aus den Faultunneln zurückkamen. Etwas Unheimliches, etwas Merkwürdiges lag in diesem Labyrinth aus Stahl, Rost und Dreck und zog die Leute in seinen tödlichen Bann. Und nun schien auch Kael diesem Bann erlegen zu sein. Panisch drehte sich Kael um. Blickte in die grünliche Finsternis, die von seiner Brille so geisterhaft illuminiert wurde. Er konnte sich absolut nicht mehr daran erinnern, dass er falsch abgebogen wäre. Und so beschloss er erst einmal einfach weiter zu gehen. Vielleicht würde er schon bald auf die bekannten Faultunnel stoßen. Stattdessen aber stieß er auf immer mehr verwinkelte Kreuzungen und Abzweigungen. Die Verzweiflung in Kaels Herzen stieg immer weiter auf. Er würde hier, in der Finsternis, sterben. Verhungern. Oder erfrieren. Oder von irgendwelchen Kreaturen, welche durch die Tunnel streifen, gefressen werden. Kael dachte an eine Mutter und seine Schwester, wie sie damals verschwunden sind. Vielleicht liegen ihre Knochen auf irgendwo hier in dem Unrat der verlorenen Gänge. Der Junge spürte, wie die Tränen in seinen Augen hochstiegen. Und so setzte er sich hin und begann bitterlich zu weinen.

Doch plötzlich horchte er auf. Waren das Stimmen? Aber ja doch. In einem der Tunnel hörte er Menschen. Das konnte, nein! Das musste der Weg zurück in die Zivilisation sein! Erfüllt von neuer Hoffnung und Mut sprang Kael auf und rannte in die rostige Röhre hinein. Mit jedem Schritt wurden die Stimmen immer lauter, doch konnte er beim besten Willen noch niemanden erkennen. Aber sie musste da sein. Hinter der nächsten Kurve vielleicht…

Was jetzt geschah, konnte Kael erst im Nachhinein verarbeiten. Die Reihenfolge der Ereignisse war einfach zu schnell und unvollständig.
Er rannte also um die Biegung, als er plötzlich den Boden unter den Füßen verlor. Tatsächlich endete das Rohr einfach in der Luft und Kael stürzte unsanft auf eine besonders seltsame Art von Gewächs. Es ähnelt einer Flechte, doch war sie im Vergleich dazu riesig, von einer braun-grauen Farbe und mit grünen Zetteln versehen. Zu diesem Zeitpunkt kannte Kael noch keine Gewächse die größer waren als Pilz, Moose, Flechten und Ranken. Und ein Baum war ihm noch vollkommen fremd. Schreiend krachte er durch das Geäst bis er auf einem scheinbar dicken Zweig hängen blieb. Benommen schüttelte er den Kopf und versuchte die Orientierung wieder zu erlangen, als der Ast plötzlich laut knirschte und unter ihm abbrach. Wieder stürzte er samt dem Ast einige Meter in die Tiefe bis er unsanft landete.
Sein Rücken schmerzte ungemein, als Kael wieder versuchte auf zu stehen und sich zu orientieren. Ein grelles Licht fiel durch das Blätterdach der seltsamen Flechten auf in herab. Der Boden unter seinen Füßen war angenehm weich und voll mit grünen, kleinen Pflanzen.
“Das…ist…Gras…” Es kam einfach so mit einem Tonfall des Unglaubens und der Überraschung über seine Lippen. Gras kannte er nur vom Markt, abgepackt in kleinen Tüten. Eine Delikatesse für die Rathogs und andere Tiere. Adrenalin schoss in Kaels Blutbahnen. Er befand sich auf einer weichen Wiese, welche von einigen hochragenden Bäumen umgeben war, die hoch bis an die Decke reichten. Diese waren voller Moos und Flechten und lange Lianen hingen von ihren Ästen und Zweigen herab. Staunend drehte sich Kael um, blickte wieder nach unten…

Und erschrak. Unter dem Ast, mit dem er abgestürzt war, lag jemand. Schnell packte er das fremdartige Geäst und warf es auf die Seite. Es war ein auf dem Bauch liegender Mann, der zum Vorschein kam. Und wie Kael zu seinem Entsetzen feststellen musste, war er tot. Nach dem ersten Schrecken drehte der Junge den Leichnam auf den Rücken. Der Mann, er war eindeutig älter als Kael, hatte keine Haare auf dem Kopf und im Gesicht. Er steckte in einer Art anthrazit-grauer Anzug oder Rüstung, die aus einem fremden, gummiartigen Material bestand und über viele Taschen und Gürtel verfügte. Zu diesem Anzug gehörte auch ein roter Umhang mit Kapuze. Neben dem Mann lag eine Art Speer im Gras, sowie auch ein anderes Gerät, dass wie eine Bohrmaschine aussah. Von einer Nagelpistole hatte Kael zu diesem Zeitpunkt genaus wenig gehört wie von den Bäumen.
‘Wenn ich diese Dinge, und vorallem was von dem Gras, einpacken würde, könnte ich sie auf dem Markt verkaufen und so meine Zollschulden bei Uther bezahlen’, dachte sich Kael nach einer Weile. Dass er den Mann getötet hatte, tat ihm leid. Aber Unfälle geschahen und zum Trauern blieb genauso wenig Zeit wie sich um sein Gewissen zu sorgen. Alles Leben ging nunmal seinen Weg des Sterblichen. Manche früher, manche später.

Gerade als Kael sich daran machte, die Leiche um ihre Habseeligkeiten zu erleichtern, vernahm er aus der Nähe ein leises Stöhnen. Er drehte sich um, schlich vorsichtig um einen der Baumstämme und entdeckte einen verwundeten Mann, der an einem Baumstamm lag. Er presste seine rechte Hand auf eine Bauchwunde, doch das Blut quoll dick zwischen seinen Fingern hindurch. Der Verletzte war älter als der Tote. Er hatte einen langen, grauen Baar und ebenso lange Haare und hatte eine getönte Brille vor den Augen. Auch trug er einen ähnlichen Anzug wie der Tote und darüber einen derben, braunen Ledermantel. Neben ihn am Boden lag eine Waffe, eine Machete mit recht langem Griff. Kael entdeckte nun auch, dass der Mann noch aus weiteren Wunden blutete. Es waren tiefe Schnitte und aus anderen ragten einige blutige Nägel.
Es herrschte eine eigenartige Stille, als Kael vor dem Mann stand und ihn beobachtete. In dieser Stille konnte er den Atem des Mannes hören. Er rasselt wie eine alte Kette, die über den Boden geschleift wurde. Plötzlich wurde er von einem Hustenreiz erschüttert und er spuckte Blut und Schleim aus. Dann richtete er den Kopf auf und Kael konnte spüren, wie er von den Augen hinter der schwarzen Brille angestarrt wurde.
“Wo ist Ben? Wo ist dieser Drecksack?!”, begann der Mann dann mit leiser Stimme zu sprechen und versuchte sich aufzurichten. Kael sprang rasch zu ihm hin.
“Mein Herr! Bitte, bleibt liegen! Ihr seid zu stark verwundet.”
“Wo ist Ben?!” Der Mann starrte in Kaels Augen.
“Ich kenne keinen Ben.”, antwortete der Junge. “Aber da vorne liegt ein Toter. Vielleicht ist er der Mann, den ihr sucht.”
“Eine Leiche?! Helf mir hoch, Junge!” Der Mann griff mit der Linken nach Kaels Arm und versuchte sich an ihm hochzuziehen. Doch er schaffte es nicht und Kael gelang es auch nicht den Mann zu halten. Er war einfach zu schwer für ihn. Und so rutschte er wieder nach unten auf seinen Sitzplatz vor dem Baum.
“’Dammt!”, schrie der Mann auf. “Wegen diesem Arsch werde ich noch hier verrecken!” Wieder hustete er und traf Kael dabei. Und wieder war schwarzes Blut mit Speichel vermischt dabei. “Die Leiche…”, setzte dann der Mann fort. “Hat er einen roten Umhang?”
“Ja, Herr. Hat er.”
“Hast du ihn getötet?”
“Kann sein.” Kael schaute dabei etwas beschämt zu Boden. “Ich weiß es nicht genau. Es ging alles so furchtbar schnell. Ich…”
“Für deine Geschichte habe ich jetzt keine Zeit, Junge.” Der Mann unterbrach Kael in seiner Rede und wieder starrten seine Augen in die des Knaben. “ Ich verblute hier in wenigen Augenblicken, denn ich spüre schon, wie die Kälte des Todes meine Glieder ergreift. Höre mir jetzt genau zu.”
Mit diesen Worten lange der Mann an seinen linken Unterarm und krempelte den Ärmel seines Anzugs hoch. Der bleiche Unterarm lag frei. Mit der rechten Hand tastete er seine Haut ab bis ein leises, mechanisches Klicken zu hören war. Plötzlich teilte sich die Haut und das Gewebe der Armes und gab eine geheime Tasche frei, die über dem Knochen lag. Und aus dieser Gewebetasche holte der Mann einen Gegenstand hervor. Er war flach und klein, vielleicht zehn Zentimeter lang und drei breit. Die Form war unregelmäßig. Das Ding schien aus einem bläulichen Metall zu bestehen und war von leuchtenden Adern durchzogen.
“Hier. Nimm den Schlüssel.” sprach der Mann und gab ihm Kael. “Sie…sie werden nach ihm suchen. Aber sie dürfen ihn nicht finden!”
“Wer wird nach ihm suchen?” Kael nahm das Artefakt entgegen, doch der Mann ging nicht auf Kael Frage ein. Stattdessen zog er sich einen goldenen Ring vom Finger und reichte diese auch dem Jungen.
“Die Karte…du…du wirst sie brauchen.”
“Aber?! Was soll ich damit machen?!”
Der Mann sackte tiefer in sich zusammen. “ Clover…Clover weis…” Und mit diesen Worten verstarb der namenlose Mann.

Kael war wieder alleine. Alleine in einer fremden Welt. Alleine mit zwei Toten. Alleine mit zwei seltsamen Artefakten und mit dem Wissen, dass er deswegen gejagt werden würde. Er machte sich nun erstmal keine Hoffnungen mehr nach Hause, in die Rote Grotte, zu kommen. Stattdessen packte er zusammen, was er von den beiden Leichen mitnehmen konnte und suchte einen Weg aus dem Urwaldhain heraus und machte sich auf die Suche nach Clover…