Sonntag, 30. September 2012

[Rollenspiel] Der unbekannte Feind


Qualität oder Quantität? Das ist hier die Frage!


Bei meinen Recherchen für die Monströse Philosophierunde sind mir einige Punkte aufgefallen, über die ich einfach mal im Allgemeinen reden möchte:

Beim Durchblättern der Monster Manuals bemerkte ich, dass D&D über all die Jahre immer wieder die gleichen Kreaturen mitschleift, wodurch mal als alter Veteran zwar ein vertrautes, aber doch auch ein leicht gelangweiltes Gefühl hat. Sicherlich sind für Rollenspielneulinge die Orks, Medusen, Hydren und Co. ganz ok und die Versetzerbestien, Betrachter und Gedankenschinder verstärken das nostalgische Feeling. Aber so richtig überraschen können sie den erfahrenen Leser, Spielleiter und letztendlich auch die Spieler nicht mehr.

Denn: Sobald ein Oger um die Ecke kommt, dann wissen die Spieler im Grunde sofort "Ah! Ein Oger!" - "Kein Problem, ich hab ein Sword of Ogre Decapitation!".

Und Spieler- und Charakterwissen zu trennen ist immer so eine Sache. Sicherlich wissen die Charaktere nicht sofort, dass das ein Oger ist, wenn sie vorher noch nie einem begegnet sind, aber wenn der Spielleiter den unverzeihlichen Anfängerfehler macht und gleich herausposaunt, was da auf die Party zugewackelt kommt, dann ist er selber schuld.

Wenn die Charaktere aber nicht wüssten, dass ihr Gegner ein Oger ist, wie würden sie ihm begegnen? Immerhin würde ihre Unwissenheit sie vielleicht nicht dazu verleiten, das Sword of Ogre Decapitation zu nutzen. Dieses Quantum an Unwissenheit kann die ganze Situation um ein ganzen Stück besser machen. 

Daher, Regel Nummero Uno: Nenne niemals Monsternamen!
Ok, wenn es sich um eine allgemein bekannte In-World-Rasse handelt, dann wird es sich wohl kaum vermeiden lassen, dass die Spieler dann ihren Gegner relativ schnell identifizieren können. Wenn ich jetzt zum Beispiel Gaia betrachte und die SCs wurden schon einmal von einer Gruppe Bergtrolle aufgemischt, dann werden sie einen Bergtroll auch jederzeit wieder erkennen. Zumal diese als eigenständige Rasse gehandelt werden und nicht nur einfach als Monster. Man kann also zu jeder Zeit einem Bergtroll auf der Straße begegnen, ohne dass er sofort eine Gefahr für die SCs darstellt.

Dies ist auch ein sehr wichtiger Punkt: Was ist ein Monster? Was ist ein Tier? Was ist eine Rasse?
Diese Fragen sind sehr in-world-bezogen. Orks z.B. könnten sowohl Rasse als auch Monster sein. Oder eben Trolle. Es gibt genug Settings, in denen Trolle als eine Rasse angesehen werden oder eben auch als wilde, unbezwingbare Monster. Diesbezüglich sollte man mal den Standpunkt dieser drei Gruppen genauer betrachten:

Was ist eine Rasse?
Eine Rasse ist, in meiner Betrachtungsweise, eine kulturschaffende Spezies, die mit anderen Spezien in Kontakt treten kann. Wie diese Kultur und dieser Kontakt aussieht, ist wieder ein anderes Thema. Der Unterschied zum Monster ist hier aber, dass diese Gruppe im Normalfall auf irgendeine Weise mit anderen Rasschen verkehrt und somit auch im Allgemeinen bekannt ist. Die Orks aus Herr der Ringe zum Beispiel sind eine Rasse, die eine eigene Kultur haben und auch durch ihre Kontakte mit anderen Rassen denen bekannt sind. In dem Fall bringt es nicht viel, wenn man ständig versucht, eine angreifende Orktruppe zu umschreiben, da diese Wesen in-World-technisch einfach bekannt sind.


Was ist ein Tier?
In meiner Sichtweise, sind Tiere Kreaturen, die keine Kulturerschaffen, aber auch mit einer Rasse schon mal auf irgendeine Art und Weise in Kontakt getreten sind. Sprich: Wenn eine Gruppe von Helden von einer großen Raubkatze angegriffen wird, so weiß man, dass es sich z.B. um einen Tiger handelt. Sicherlich gibt es einige Tierarten, die man kaum kennt oder noch nie zuvor gesehen hat - gibt es ja auf der Erde auch immer wieder - aber dies ist nicht der Regelfall. Sollte eine Gruppe von SCs auf ein solches Tier stoßen, gelten eigentlich immer die Regeln für Monster.

Was Tiere und Rassen nun gemeinsam haben ist die Menge an Individuen. Von den Orks gibt es einfach verdammt viele und von einem Pferd hat man auch schon mal irgendwann irgendwo einen gesehen. Hier spielt auch das Techlevel einer Welt eine Rolle. In einer primitiven Steinzeitwelt, wo der Informationsfluss einfach nur gering ist, können Säbelzahntiger oder Dinosaurier (wir bleiben einfach mal bei Pulp-Klischees) als Monster behandelt werden. In einer hochentwickelten Informationsgesellschaft wie die unsere nicht. Denn: Wissen bedeutet Macht und kann die Angst vor einer Kreatur herabsetzen. In der entsprechenden Situation, wenn die SCs Auge um Auge mit dem Gegner kämpfen ist das nochmal was anderes.

Was ist ein Monster?  
Ein Monster ist nun eine Kreatur, die mengenmäßig sehr gering vorkommt, meistens keine Kultur hat und die nur minimalen Kontakt mit ihrer Umgebung hat. Ein Monster wird von einem Mantel der Mysterien geschützt. Und das Unbekannte ist immer der beste Feind eines Helden!
In der griechischen Mythologie, gab es ja eine Vielzahl von Monstern gegen welche die Helden antreten mussten: Der Minotaurus, der Zyklop, die Hydra oder die Medusa.
Die Unterstriche sind eine Betonung. Eine Betonung auf die Einmaligkeit der Kreatur. Denn diese Monster waren zu ihrer Zeit eine Einmaligkeit. Dadurch und dass diese Wesen kaum bis keinen Kontakt mit den Menschen hatten - außer vielleicht, wenn mal wieder einen zum Essen vorbeikam - waren diese Wesen für die Menschen Unbekannte, um die sich eine Menge Mythen und Legenden rankten. Wenn nun ein Held sich aufmachte, das Labyrinth des Minotaurus zu betreten, wurde er mit den Mythen und Legenden konfrontiert. Was davon nun wahr oder Erfindung war, konnte er im Voraus nicht erkennen. Und so konnte sich hinter dem Bild des Minotaurus alles mögliche verbergen. Von einem Menschen mit Ochsenkopf über einen Krieger, der vielleicht nur einen Helm in Form eines Rinderschädels trug, einem wilden Stier, der in dem Labyrinth gefangen gehalten wurde bis hin zu einer dämonischen Kreatur von vollkommen bizarren Aussehens. Ja, theoretisch hätte der Minotaurus auch nichts anderes als eine Shoggothe sein. Und schon hätte man eine Möglichkeit gefunden, den Cthulhumythos mit ins Spiel zu bringen.

Was ich eben jetzt damit sagen will: Monster sind nur dann Monster, wenn sie die Spieler und die SCs überraschen können. Und diese Überraschungen gelingen eben nur, wenn das Monster unbekannt ist.

Daher folgende Regeln für Monster:

1. Einmaligkeit oder Seltenheit
Monster sollten nicht inflationär wie Bonbons verteilt werden. Das ist der schlimmste Fehler, den man als Spielleiter oder Weltenbastler machen kann. Denn das nimmt die Spannung aus der Geschichte und zwingt den SL zu immer mächtigeren Monstern zu greifen, um noch einen neuen Überraschungs- und "Effect of Epicness" zu erzeugen.

2. Kein oder kaum Kontakt zu der Außenwelt
Unwissenheit ist ein Segen - zumindest für den SL, der dann die Spieler vollkommen mit einer Variation des erwarteten Gegners oder einer vollkommen anderen Interpretation oder einem komplett anderen Gegner aufwarten kann. Der Spielleiter sollte zudem Mythen und Geschichten um das Monster spinnen, die nur teilweise wahr sind, um somit die Spieler vollkommen in die Irre zu führen und mit ständigen Wendungen zu überraschen.

3. Qualität statt Quantität
Viele Leute denken immer noch, dass Spannung durch lange und große Kämpfe erzeugt wird. Das ist aber eindeutig falsch. Ein Kampf mit 30 Höhlentrollen wird recht schnell langweilig. Zu Beginn herrscht vielleicht noch der Effekt der Bedrängnis vor, dass dieser Kampf einer Herausforderung werden könnte, doch kommt es bald schon zu einer Ernüchterung, wenn anstelle eines atmosphärischen Kampfes nur ein stumpfsinniges Würfeln und Regelblättern wird.
Ist es aber nur ein Höhlentroll, der vielleicht von einer Handvoll Goblins begleitet wird - um einfach mal bei dem Beispiel zu bleiben - und betreibt der SL bei dem Kampf ein vernünftiges Storytelling, dass durch einige Proben unterstützt wird, so kann man ein sehr spannendes Gefecht erschaffen, ohne mit Unmengen von Gegnern daherkommen zu müssen.

Auch können so, durch gute Erzählung und etwas Taktik, sowie dem Vertrauen der Spieler, sehr spannende Kämpfe mit einfachen Gegnern geschaffen werden, ohne dass man gleich die großen Knaben aktivieren muss. Wenn man vorallem langsam mit Monstern als Gegner anrückt, welche man auch ohne extreme Artefakte bezwingen kann, so werden diese ganze Itemschwemme, wie sie bei D&D so ausführlich durchgeführt wird, komplett überflüssig. Bei dem Beispiel am Anfang wurde ja das berühmt-berüchtigte "Sword of Ogre Decapitation" genannt. Die Waffe erfüllt ja nur einen Zweck sehr effektiv: Oger zu enthaupten. Werden Oger aber nur qualitativ und nicht quantitativ eingesetzt, so spielt diese Waffe plötzlich keine Rolle mehr. Beziehungsweise der SL wäre selber schuld, wenn er  diese Klinge den SCs zukommen lassen würde, denn dann würden die wenigen oder vielleicht sogar einzigartigen Oger auch komplett zu Lachnummern verfallen.

Mit Artefakten verhält es sich wie mit Monstern: Wenn sie rar und storybezogen eingesetzt werden, sind sie wirklich eine feine Sache. Gibt es sie aber im Überfluss, verkommen sie zur Gewöhnlichkeit und es gibt einfach keine Überraschung mehr.

4. Monster = NSC
Monster sollten immer auf ihre Art und Weise als NSCs behandelt werden. Der SL soll die Monster mit all seinen und den Möglichkeiten der Kreatur vollkommen ausspielen. Sie sollte im Zentrum des Gefechtes stehen, wie eine Art Zwischen- oder Endboss in einem Computerspiel und niemals zu einfachen EP- oder Kanonenfutter verdammt sein.
Rassen hingegen können NSCs oder einfach nur Mooks (=Einfach zu killendes Gesindel) sein. Ein Angriffswurf gegen einen Goblin und er ist erlegt. Ein Angriffswurf gegen einen Höhlentroll und es schüttelt sich nur mal kurz. Einem Goblinboss hingegen sollte man auch etwas mehr Respekt zollen und ihn eben als NSC behandeln und so auch spielen.
Tiere als Gegner in Rollenspielen sind immer eine schwierige Sache. Bei halbwegs realistischen Welten wird es kaum passieren, dass ein Elch durchs Unterholz bricht und die Gruppe angreift - so aus Jux und Dollerei oder aus einer niederen Blutgier heraus. Das kommt bei Pulp- oder eher bei Trashsettings vor. Wenn Tiere in Kämpfen vorkommen, dann sollten sie, je nach Situation, entsprechend behandelt werden. Hungrige Tiger in einer Arena können zum Beispiel als NSCs behandelt werden. Eine Schar Kampfhunde, welche die Charaktere verfolgt, vielleicht eher als Mooks. Aber wie schon gesagt: Tiere sind schwer!

5. Bodymods
Was auch extrem hilfreich ist, sind Modifikationen der Monster, um sie von dem Standard abweichen zu lassen oder eben komplett neu aufzuziehen. Eine Hydra z.B. hat 9 Köpfe und giftige Zähne. Zudem wachsen zwei neue Köpfe nach, wenn einer abgetrennt wurde. Was aber, wenn die Hydra kein Gift hat, sondern Feuer oder Säure speit? Wenn sie Drachenflügel hat und am Schwanzende einen giftigen Stachel?
Ein Minotaurus könnte auch eine Art Mischung aus Zentauer mit Stier sein. Ein Zyklop kein Riese, aber dafür kann er Blitze aus seinem Auge schießen oder die Medusa mit Tentakeln statt Schlangen und einem Kuss, der dem Opfer die Seele entreißt.

Die Steigerungsform der Bodymods ist natürlich die komplette Erschaffung neuer Monster. Zu dem Thema hat James Edward Raggi IV, der Mann hinter Lamentation of the Flame Princess, den "Random Esoteric Creature Generator for Classic Fantasy Role-Playing Games and their Modern Simulacra" geschrieben, mit dem man sehr einfach sehr abgedrehte Kreaturen erschaffen kann. Zudem gibt es in dem Heftchen einige sehr nützliche Tipps zum Umgang mit Monstern:



Weltenbetrachtung
Zum Schluss will ich jetzt nochmal auf meine 3 Settings eingehen, die ich ja aktiv bebastle und mal schauen, wie es sich dort mit Monstern, Tieren und Rassen und den oben genannten Aspekten so verhält.

Gaia: Auf Gaia haben wir eine Handvoll Rassen, welche teils mehr, teils weniger Kontakt untereinander haben. Sollte es zu einem Kampf kommen, so sind die Gefechte immer recht cinematisch ausgelegt und erinnern immer sehr an Actionfilme. Die einzelnen Eigenschaften der Rassen werden dabei involviert, doch werden die Kämpfer immer als Mitglied ihrer Rasse und nicht als Monster behandelt. Und auch hier schätze ich Qualität vor Quantität sehr. Bei der aktuellen Gaia-Session gab es zuletzt ein echt sehr spannendes Duell mit nur einem Gegner, wobei vieles über Erzählung und nur mit den allernötigsten Proben abgehandelt wurde.
Auch unter den Aspekt der Rassen fallen in vielen Ländern Gaias die Golems, welche ein häufiger Anblick auf den Straßen sind. Nur einzelne Individuen von ihnen mit besonderen Eigenschaften werden eher als Monster/NSCs behandelt.
Richtige Monster gibt es auf Gaia relativ wenige. Es gibt vielleicht monströse Tiere, wie die gewaltigen Ochd, die ein Nashorn mit einem Tritt zertrampeln könnten, aber es sind halt nur Tiere. Die einzigen Wesen, die als Monster behandelt werden, sind die Dämonen. Besonders, wenn sich ein Dämon mit einem Tier oder einer Pflanze verbunden hat, dann entsteht recht schnell eine Kreatur, welche der Definition des Monsters sehr nahe kommt.

Cimorra: Cimorra als Pulp-Fantasy-Welt ist da etwas anderes. Es gibt einige Rassen, doch da das Setting menschenzentriert sind, können diese schon mal ein wenig wie Monster behandelt werden (wie z.B. Schlangenmenschen oder Tiefe Wesen). Zudem gibt es zum einen noch geringe Rassen, die recht selten sind und isoliert leben und, wie es auch für die genannten Beispiele gilt, Rassen des Cthulhumythos, die auch auf Grund ihrer Fremdartigkeit eher nach der Definition von Monstern behandelt werden.
Auf Cimorra gibt es eine Fülle an Tieren, von denen einige, ganz in der Tradition der Sword & Sorcery- bzw. Sword & Planet-Konvention, nach dem Konzept der Monster behandelt werden können (z.B. Säbelzahntiger, Gorillas, usw.). Tiere auf Cimorra werden eher zweigeteilt. Die eine Hälfte entspricht eher dem oben genannten Tierkonzept, die anderen eben eher einem Monsterkonzept.
Monster hingegen gibt es auf Cimorra wesentlich mehr als auf Gaia. Aber auch hier verfolge ich das Konzept von Qualität statt Quantität. Ob es sich bei den Wesen nun um eher klassische oder doch mehr bizarre Monster handelt, ist dabei egal.

The Black Galaxy: Hier liegt das Problem in der Größe des Universums und in der Tatsache, dass eigentlich alles möglich ist. Daher ist die Definierung von Rassen, Tieren und Monstern von Welt zu Welt, von Setting zu Setting, von SL zu SL und von persönlichem Geschmack vollkommen unterschiedlich.

Nachwort
Ich haben diesen Post an mehreren Tagen geschrieben und bin immer wieder mal unterbrochen worden, weshalb ich vielleicht manchmal ein paar kleine Brüche in der Ausführung habe. Trotzdem hoffe ich einfach, dass der Post ein wenig zum Nachdenken und vielleicht auch zu gewissen Überlegungen und Ideenfindungen anregt. 

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